24 Stunden sind manchmal nicht genug: Sturz von Kurz

Kurz ist über seine eigene Selbstüberschätzung und politische Überheblichkeit gestolpert. Für die 24-Stunden-Ersatzregierung hätte er sich wohl besser mehr Zeit genommen und eine Abstimmung mit dem Nationalrat gesucht. Jetzt steht der von manchen Medien als „Taktiker“ fälschlicherweise beschriebene Kurz zunächst vor den strategischen Trümmern seiner Karriere.
Was Kurz bis gestern nicht verstehen konnte oder wollte: Österreich ist nicht die türkise ÖVP. Daher geht es nicht einfach durch, wenn er sich irgendetwas in den Kopf setzt.
Kurz hat, was mich immer noch staunen lässt, die ehemalige ÖVP samt ihren Bünden völlig kastriert. Alles und jeder hatte sich ihm und seinen Vorgaben unterzuordnen. Eine kleine sektenartige Prätorianergarde fungierte als sein Beratungs- und Personalpool (Köstinger, Mahrer, Blümel, Edstadler). Die Koalition mit der FPÖ war seine Chance auf den Kanzlerposten, wider allen berechtigten Warnungen.
Die Regierungsarbeit war geprägt von einem Trutzburgdenken, das bisher einzigartig war in diesem Land. Als Experten galten nur Vertrauensleute von Kurz, jede noch so berechtigte Kritik wurde als „linke Verhinderung der notwendigen Reformen“ verunglimpft. Bei den „Einzelfällen“ und Provokationen der FPÖ (und vor allem Kickl) wurde aus machtstrategischen Gründen immer bewusst weggesehen. Oder, noch schlimmer, einfach zugunsten des Machterhalts rechtsradikale Umtriebe heruntergeschluckt. Dann kam das Ibiza-Video und in Kurz erwachte eindeutig der Drang, ein junger Schüssel zu werden.
Ab dem 18.Mai 2019 ging es aber plötzlich nicht mehr so geschmiert.
Zunächst spielte Kurz beim Bundespräsidenten den verantwortungsvollen Kanzler, nur um bei jeder Gelegenheit Wahlkampftöne hineinzuschwindeln. Leider ließ ihm Van der Bellen das zu lange durchgehen. Dann der strategische Fehler mit Kickl. Kurz hatte offenbar nicht den Hauch einer Ahnung, was das im Koalitionspartner auslöst.
Dann die lächerliche Beharrung auf den 24 Stunden, in der er die Ersatzregierung parat hatte. Kurz hätte sich wohl 48 Stunden Zeit lassen sollen.
Leider war auch hier der Bundespräsident nicht auf der Höhe, denn wie kann es einem jahrelangen Parlamentarier wie Van der Bellen passieren, nicht auf die notwendige Duldung im Nationalrat zu achten.
Wenn vier Parteien sagen, Kurz hat keine Gespräche geführt, sondern seine Entscheidungen verkündet, so glaube ich der Mehrheit. Es passt auch in die überhebliche Arroganz von Kurz, die er in den letzten Jahren mehrfach gezeigt hat.
Aber hat er wirklich geglaubt, damit kommt er durch? Mit Provokationen gegen Blau und Rot in der Personalauswahl, mit der mangelnden Gesprächs- und Kompromissbereitschaft seinerseits? Dachte Kurz wirklich, mit einer glasklaren ÖVP-Minderheitsregierung beim Großteil der Opposition geduldet zu werden?
Natürlich wurde er von der ÖVP bestärkt in seinem Tun. Das böse Erwachen kam nach einem trügerischen Wahltriumph bei der EU-Wahl. Denn auch hier muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass die ÖVP samt Kurz nur von einem knappen Viertel aller möglichen Wähler unterstützt wurden. Also steht „die Bevölkerung“ genauso nicht geschlossen hinter Kurz wie hinter allen anderen.
Die Ereignisse vom 27.Mai brachten um 16:14 das Erwachen und den sofortigen Rollenwechsel vom Kanzler zum Opfer. Das ist legitim und völlig klar, ebenso die Jubelklatscher, die in Windeseile in die Parteiakademie gekarrt wurden.
Doch der kommende Wahlkampf wird nicht so eine g’mahte Wies’n wie 2017. Da gab es eine Regierung, die angeblich Stillstand und Streit verwaltete (was nur durch Kurz, Lopatka und Sobotka verschuldet wurde). Doch nun hat Kurz erneut eine Regierung gesprengt, die angeblich super funktionierte. Und er hat nun keinen blauen Sekundanten, der in eine Regierung will. Sondern eine FPÖ als Gegner, die ihn besiegen will. Mit allen Mitteln!
Und bei den unverhohlenen Drohungen, die Kickl in der Sondersitzung in Richtung der ÖVP gerichtete hat, kann der Wahlkampf in eine Schmutzkübel-Dimension vordringen, die so völlig neu sein wird wie der angenommene Misstrauensantrag gegen Kurz samt seiner 24-Stunden Expertenregierung. Wir haben uns wirklich gewundert, was alles geht!