Mit einem launigen „Ihr könnt mich alle!“ verlässt Mitterlehner das „sinkende Schiff“ ÖVP (© Khol) und schlägt mit metaphorisch erhobenen Mittelfinger noch ein weiteres Leck. Wie so oft war der letzte Auftritt eines ÖVP-Obmanns auch der beste.
Dabei hat Mitterlehner mit vielem recht. Die vergangenen Wochen haben eindeutig vor Augen geführt, dass seine Durchsetzungskompetenz komplett gegen Null gegangen war. Beispiele hierfür waren etwa immer wieder Sobotka und vor allem auch der Mega-Gau des lächerlichen Pamphlets gegen Rot-Grün.
Nun hat Mitterlehner abschließend einen Rundumschlag hingelegt, in dem seine eigene Partei am meisten Kritik einsteckte. Gleichzeitig musste der Vizekanzler aber auch zugegeben, tatsächlich nur mehr ein „Platzhalter“ gewesen zu sein.
Nun kam Djangos Rache, indem er den „Gottseibeiuns der Altvorderen in der ÖVP“, Sebastian Kurz, unterschwellig in die Rolle eines schwarzen Brutus drängt. Eine letzte Genugtuung, lächelnd und eiskalt serviert.
Die ÖVP ist nun in einer Situation, die viele seit einem Jahr wollten, aber nicht auf diese Art und Weise. Die nächsten Tage werden jedenfalls turbulent werden rund um die Lichtenfelsgasse.
Das Talent Kurz (offenbar gehören zu einem politischen Talent in Österreich eine fehlende Berufsausbildung sowie ein abgebrochenes Studium – ja, der Herr Kurz kennt so sicher die Lebensrealität der Österreicher jenseits des geschützten Sektors Partei) wird sich bitte lassen. Die Situation ist für ihn unangenehm. Er wollte sicher noch nicht ins volle Rampenlicht treten. Immerhin muss er sich nun deklarieren: zur Bildung, Wirtschaft, Sozialem, Wohnen, Arbeit, 12 Stunden Tag, Steuern.
Da wird dann der einzige „Erfolg“ mit der Schließung der Balkanroute auch nicht mehr helfen. Diese Trumpf-Karte ist lange ausgespielt, der Herr Kurz befindet sich plötzlich schon im übernächsten Spiel. Und merkt, dass er momentan kein Atout zum Ausspielen hat. Denn Mitterlehner hat mit seinem Rücktritt quasi politisch zugedreht.
Reinhold Mitterlehner war ein Politiker der alten Schule. Er war ein Ausgleicher, offenbar mit einer zu geringen Hausmacht ausgestattet und zu tief in der Haut eines Anhängers der Sozialpartner steckend. Daher ging er selten auf direkten Konfrontationskurs. Der ruhige Abgleich von Interessen lag mehr in seinem Naturell. Womöglich sind die Zeiten der ausgleichenden Sozialpartnerschaft-Mentalität (Ich geb’ dir und du gibst mir!“) wirklich langsam vorbei. Schön wär’s.
Kommen jetzt Neuwahlen? Höchstwahrscheinlich schon! Wenn Kurz übernimmt, muss er sogar die Flucht nach vorne antreten. Eine weitere Variante wäre ein Übergangsparteiobmann, der die Legislaturperiode absitzt, die SPÖ weiterhin nach Rezept Sobotka zur Weißglut bringt und alles verhindert, was Kern helfen könnte. Es wäre auch egal, denn diese Person müsste sich ja nicht zur kommenden Wahl stellen. Eine Taktitk, die m.E. der ÖVP durchaus zuzutrauen ist. Kurz bleibt dann im Schatten, hält sich immer noch aus allen unangenehmen Themen raus und könnte auf einen neuen Trumpf hoffen. Der wäre wohl der ähnliche wie bei der FPÖ: eine neue Flüchtlingswelle!